B L A N K W A F F E N
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Abdank

(Moderator)

Polen, als Synonym für die verschiedenen polnischen Staatsgebilde seit dem Anfang ihres Bestehens, nimmt einen besonderen Platz unter den europäischen Nationen ein, wenn es um die geschichtliche Entwicklung, die Produktion und den Erhalt von Blankwaffen geht. Um diesem Spezialfall etwas gerechter zu werden, vor allem weil direkte Übersetzungen aus dem Polnischen spärlich sind, möchte ich mich hier diesem Thema zuwenden, den ein oder anderen Hinweis geben und häufige polnische Standpunkte beleuchten. Man kann derlei historische Aspekte nicht zufriedenstellend darstellen ohne zumindest marginal auf Schutzwaffen und Truppengattungen einzugehen, deshalb finden diese auch ihren Platz.
Naturgemäß sind Blankwaffen Teil des martialischen Wesens kultureller Gruppierungen die immer mindestens eine gegnerische Partei benötigen um eine Daseinsberechtigung zu haben und waren deshalb Gegenstand kritischer Beäugung, wenn sie erst einmal in eben jene gegnerische Hände fielen. Der Prozeß zog einerseits die Nachahmung, andererseits die Vernichtung dieser symbolischen Objekte nach sich. Vorausgesetzt, dass ein Staat besteht in dem bestimmte Traditionen der "Blankwaffenkultur" existieren und sich entwickeln können, ist der gegnerische Einfluss mehr oder minder vernachlässigbar. Anders hingegen, wenn der Staat und damit seine Blankwaffenkultur kompromittiert wird, im schlechtesten Fall gänzlich aufhört offiziell und unabhängig zu existieren. Dann wird es für den Forscher, Sammler und Bewunderer solcher Blankwaffentraditionen unübersichtlich und teuer.
Genau dies ist der Fall, wenn es um polnische Blankwaffen geht.

Um die polnische Blankwaffentradition verstehen zu können muss man sich zwangsläufig auch mit der Geschichte dieses Landes beschäftigen. Dies ist nicht annähernd in einem Format wie diesem Essay möglich und soll auch nicht Ziel sein, stattdessen wird dieser Sachverhalt auf das Nötigste runtergebrochen damit der interessierte Leser von der schieren Existenz gewisser Tatsachen in Kenntnis gesetzt wird und sich diese selbstständig nach Belieben in weiterführender Literatur zusammensuchen kann, notfalls mit modernen Mitteln der automatisierten Übersetzung.

Das Königreich Polen entstand um das Jahr 1000 herum und war bis in das Hochmittelalter geprägt von typisch europäischer Feudalkultur, die militärische Ausrüstung inbegriffen. Wir finden identische Schwerter und Rüstungen wie sie im Rest Mitteleuropas benutzt worden sind, oft aus Solinger oder Passauer, aber auch polnischer oder ordensstaatlicher Produktion. Die berittenen Krieger bestanden zumeist aus Rittern und deren Gefolgschaft in schwerer Panzerung, mit Lanzen und Schwertern bewaffnet oder berittenen Armbrustschützen, ganz im Stile der Zeit. Um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert began eine Episode vermehrter feindlicher Kontakte mit dem Großfürstentum Moskau und den Tataren, als Hauptantagonist ist hier Iwan III in den Jahren 1492 bis 1503 zu nennen.
B. Gembarzewski schrieb 1938 dazu:
"Diese Kavallerie [Anm.: der schwer gepanzerte Ritter] verlor an Bedeutung gegenüber einem mobilen Feind, der sich nicht an die Regeln der westlichen Ritterschaft hielt, Angriffe nicht ankündigte und man selber anfällig für Überraschungsangriffe war, was sich in der Niederlage bei Bukowina im Jahr 1497 so schmerzlich zeigte . Zweifellos führten diese Gründe zu der Notwendigkeit, eine leichtere Kavallerie zu schaffen, die mit Lanzen – Speeren – bewaffnet war, die in polnischen Händen immer sehr wirksam waren, insbesondere gegen einen mit solchen Lanzen selber unbewaffneten Feind, und mit krummen Säbeln und leichten Schilden. Es wurden ungarische Muster verwendet. Erstmals im [königlich polnischem] Steuerregister eingetragen um 1500 erscheint der Name „Husaren“ neben ungarischen und möglicherweise serbischen Nachnamen, d. h. Racowie, wie die Serben damals in Polen genannt wurden."

Die militärische Anpassung an die Kriegsführung von beispielweise Tataren, aber auch Osmanen und Moskauern brachte Länder wie das Königreich Polen oder früher noch Ungarn in eine Position in der sie erst einem Gegner mit gänzlich anderer Martialkultur stellenweise unterlegen waren, später jedoch militärtechnische Aspekte des Orients und Okzidents miteinander kombinierten und daraus Vorteile ziehen konnten. Das offensichtlichste Beispiel ist die schon angedeutete Transition der adeligen polnischen Reiterei weg vom traditionellen, schwer gepanzertem Lanzenkrieger. Wie jede organische Entwicklung vollzog sich diese Wandlung nicht binnen weniger Jahre sondern eher über mindestens ein Jahrhundert und brachte im weiteren Verlauf keine Kopie der leichten ungarisch-serbischen Reiterei hervor, sondern verband zum ersten Mal eine Panzerung mit der schnellen, reaktiven Kriegsweise der leichten Kavallerie. So entwickelten sich die klassichen polnischen Husaren, die Hussaria, welche einen der beiden Hauptäste in der Genealogie der Husaren darstellen und ihr eigentliches Vermächtnis ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts an die Ulanen weitergaben, während die leichten ungarischen Husaren als der zweite Hauptast sich langsam über Österreich-Ungarn in andere Nationen verbreiteten und schließlich auch in Polen und etlichen anderen Staaten die "eigentlichen" Husaren wurden.
Zwischen den Jahren 1500 bis 1550 war eine Säbelform unter den Husaren dominant welche strikt über Ungarn aus den osmanischen Gebieten in Europa entlehnt wurde (siehe Abbildung). Außer dieser Form nutzte man mit hoher Wahrscheinlichkeit traditionsgemäß Schwerter, lange Messer als Pendant zum ungarischen Säbel und die ersten Karabelas als Weiterentwicklung der letzteren. An dieser Stelle sei der Hinweis gegeben, dass die Entwicklung des Karabelasäbels aus europäischen, v.a. böhmischen langen Messern die Meinung des Autors ist, basierend auf Vergleichen mit den jeweils ältesten Ikonografien und Belegstücken aus dem Okzident und Orient. Der Autor ist sich dessen bewusst, dass die These des orientalischen oder byzyntinischen Ursprungs des Karabelasäbels seine eingefleischte Anhängerschaft hat, jedoch sprechen die jedem Interessiertem vorliegenden Hinweise momentan für einen europäischen Ursprung und die fortwährende Wiederholung der Behauptung eines osmanischen oder persischen Ursprungs ist leider (sic!) noch lange kein Hinweis oder Argument für die Richtigkeit dieser Behauptung.

Erwähnenswert ist hierbei das osmanische Pendant aus dem 16. Jahurndert, der Deli, über den von Francois Sansovino im Jahre 1582 im Werk mit dem Titel: „Historia Universale dell‘ origine et imperio de Turchi“ geschrieben wird:
„Sie zeichnen sich durch herausragende Intelligenz, starken Körperbau und großen Mut aus. Ihre Spezialität ist der Eins-gegen-Zehn-Kampf. Sie genießen eine solche Anerkennung, dass es während des Krieges keinen Würdenträger oder Befehlshaber gibt, der für mehr Glanz nicht zumindest ein paar solcher Krieger aufstellen würde. Bevor man den genannten Namen [Anm.: also den eines Deli] erhält, muss man eine außergewöhnliche Tat nachweisen; aber diejenigen, die diesen Titel bereits erhalten haben, sind in der hier gezeigten Weise gekleidet. Auf dem Kopf tragen sie eine Kopfbedeckung im polnischen Stil, nämlich eine Giorgiana (Portano in capo un capello alias Polacca ouero alias Giorgiana) mit zahlreichen verschiedenen Federn, daher der Glaube, dass Federn ein wichtiger Schmuck mutiger Menschen seien. Sie tragen ein Leopardenfell auf dem Rücken, damit sie noch furchterregender aussehen, und sie bedecken ihre Pferde mit einem Löwenfell, und die Brust des Pferdes ist mit den Vorderbeinen des Löwen umwickelt, die hinten zu einem großen Knoten zusammengebunden sind. Für ein noch bizarres Aussehen sind die Haare und der Schweif des Pferdes gefärbt. Zu ihren Waffen gehören eine Lanze, ein schiefer [krummer] Säbel und ein mit Federn verzierter Schild, der ihm das Aussehen eines Flügels verleiht. Sie binden einen großen Schwanz an die Unterseite des Pferdeschwanzes, um Menschen und Pferde zu erschrecken."

Nun sind Husaren nur eine Truppengattung unter vielen und doch spielen sie eine übergeordnete Rolle im Prozeß der Analyse polnischer Blankwaffen, auf Grund des großen Prestigecharakters der in der Zugehörigkeit zu dieser Gesellschaft liegt. Anders als in vielen europäischen Staatsgebilden des Mittelalters und späterer Zeiten war der Adel in Polen, die Szlachta, keine zahlenmäßig marginale Gruppe die mit der gesellschaftlichen Spitze gleichzusetzen war.

15.09.23, 18:21:49

Abdank

(Moderator)

Der Zugang zum Adel wurde in Polen relativ offen gehalten und diente als Belohnung für verschiedenste Verdienste, er wurde natürlich auch verdienstlos vererbt. Blaublütige Polen fand man sowohl das eigene Feld bestellend, als auch die Geschicke von Ländern leitend. Die Bandbreite war sehr groß und trotz aller Unterschiede war man durch Konstanten verbunden: Die Mentalität, die Ehre und die persönliche Blankwaffe. Somit vergrößerten sich die polnischen Wappengemeinschaften in denen viele Familien das selbe Wappen tragen konnten und wie es der menschlichen Natur entspricht, suchen sich ehrgeizige Individuen Möglichkeiten des Distinktion. Für einen jungen Adligen mit vermögendem Hintergrund war eben jene Distinktionsoption die Zugehörigkeit zur Formation mit den höchsten "Betriebskosten", der Hussaria. Deshalb wird diese Truppengattung als Blaupause für polnische Ausrüstungskunde gewählt. Diese Wahl ist durchaus repräsentativ, da die polnischen Husaren jener Zeit so ziemlich jede mögliche Waffe mitführten, sie ist aber unter keinen Umständen exklusiv, denn mindestens eine weitere Truppe aspirierte jenen Sphären entgegen in denen sich die Hussaria bewegte, namentlich die Pancerni, also die Gepanzerten. An dieser Stelle sei für das erste ein Bruch eingefügt – weitere Truppengattungen oder Ausführungen zu den Pancerni sind an dieser Stelle nicht zielführend und können in Eigenregie stattfinden. Es sei nur noch der Vollständigkeit halber erwähnt, dass in vielen "Bannern" (poln. singular: Chorągiew), so wurden Kavallerieregimenter genannt, die Posten ähnlich genannt und vergeben wurden. Ein Adeliger meldete sich beim Hetman als Towarzysz (Geselle, nicht in der heutigen Bedeutung, Synonym: Kamerad). Dieser Towarzysz brachte mehrere Pocztowi mit (singular: Pocztowy, Bedeutung: Der aus dem Gefolge; Gefolgschaft leistender). Ein Banner bestand aus dutzenden Towarzyszy und noch mehr Pocztowi und wurde letztendlich von einem Rotmistrz (Rittmeister) geführt, welcher der erfahrenste Towarzysz war. Insgesamt kam man auf 100 bis 180 Kavalleristen pro Banner. Mehrere Banner bzw. das gesamte Heer wurde letztendlich von einem Hetman (von dem altmitteldeutschen Wort für Hauptmann abgeleitet) angeführt. Es ist vorteilhaft zu wissen, welche Dienstgrade und Truppengattungen es gab. Es macht für die polnische Blankwaffenkunde ebenso Sinn sich die grundlegensten Blankwaffen anzusehen, die zahlreich gefertigt wurden, als auch die luxuriösesten Exemplare. Dazwischen konnte man jeglichen Ausführungs-, Dekorations- und Prollgrad finden.

Nun sind wir in unserer Betrachtung der militärischen Entwicklung eines polnischen Staatsgebildes im 16. Jahhundert stehen geblieben. Es müssen nun einige wichtige Mechanismen genannt werden. 1569 wird die Union von Lublin begründet, diese überführt das Großfürstentum Litauen und das Königreich Polen in eine Personalunion. Es wurden also nun militärische Traditionen aus einer Million Quadratkilometer in ein Staatsgebilde gefasst, was das damals für vorherrschende Blankwaffentypen bedeutet hat kann man heute nur noch abschätzen. Nach dem Tod von Sigismund II, dem letzten Jagiellonenherrscher, wird diese erste polnisch-litauische Adelsrepublick nun zu einer Wahlmonarchie. Das bedeutete frische Einflüsse aus anderen europäischen Ländern. So kam es, dass am 14. Dezember 1575 Stefan Batory, ein siebenbürgischer Fürst, zum Gatten des Königs Anna Jagiellonka (sic!) ausgewählt wurde, selber König wurde und Anna den Königstitel zugunsten der Königinnenwürde abgab. Besagter Stefan Batory führte zahlreiche Reformen durch die unter anderem eine massive Stärkung der Heere und vor allem Hussaria mit sich brachte. Aber nicht nur, denn der Fürst brachte auch ungarische Fußtruppen und samt denen eine markante ungarische Säbelform mit in die Adelsrepublik, welche den Beginn einer Säbelform markierte die bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein Einfluss nehmen sollte (siehe Abbildung). Diese Säbelform charakterisiert sich vor allem durch den mandelförmigen und oft nach unten gebogenen Knauf/Pommel welcher breiter als der eigentliche Griff ist. Diese Säbelform entwickelt nun bei mehr oder minder gleichbleibender Griffform verschiedene Attribute im Sinne einer sich verkürzenden Parierstange, anschließend dem Bruch der Parierstange um 90 ° nach oben zur sogenannten polnischen L-Form (poln. Jargon: "L-ka"), parallel dazu mit einer Kette zwischen Parier und Knauf, um letztendlich Ende des 17. Jahrhunderts jenen markanten Parierbügel in Polen zu erhalten welcher den Beginn des modernen Säbels ankündigte und bis zum Ende des militärischen Einsatzes von Säbeln bleiben sollte. Angemerkt sei hier, dass der Parierbügel per se keine polnische Erfindung gewesen ist, sondern durchaus auf schweizer Säbeln oder Rapieren aus dem 16. Jahrhundert eindrucksvoll zur Geltung kommt und später zeitlich parallel mit polnischen Säbeln Teil des sog. Wallonischen Gefäßes wurde. Tatsache ist, dass der einfache Parierbügel in Kombination mit ungarischem Griff und europäischer Klinge aus der polnisch-litauischen Union kommt, so sehr die Briten mit dem M1796 Eindruck schinden wollen die wuchtigen Husarensäbel Europas beeinflusst zu haben, so sollte man an dieser Stelle eine Lanze für die ursprünglichen Entwickler brechen und sich die zugänglichen Ressourcen aus vornapoleonischer Zeit zu Gemüte führen.

Wie bereits angesprochen umfasste die Adelsrepublik Polen-Litauen in ihrer Blütezeit ca. Eine Million Quadratkilometer, sie verband im Endeffekt nicht nur das Königreich Polen und das Großfürstentum Litauen, sondern umfasste Gebiete vom Kurland bis zur Krim. In diesem Bereich trug nicht jeder Mann (von blankwaffentragenden Frauen weiß der Autor noch nichts) der etwas auf sich hielt einen Säbel der vorbeschriebenen Art, zu Wiederholung sei hier wiederholt, mit ungarischem Mandelknauf. Betrachtet man die zeitgenössische Ikonografie und vergleicht mit Exponaten aus Museen, so kommt man zu dem Schluss, dass es weit mehr Typen von Blankwaffen gab. Ich könnte an dieser Stelle in altgediente Manier sehr lange und detallierte Beschreibungen der einzelnen Typen zur Verfügung stellen. Statt dessen möchte ich nur sehr kurze Definitionen liefern die jeder Interessierte in den Nationalmuseen von Krakau oder Warschau wiederfinden wird um etwas Kontext zu liefern.
Zu aller erst sei hier noch einmal der Karabelasäbel genannt, oder die Karabela. Besagter Säbel tritt in seiner markanten "Greifvogelkopf-Griff-Form" zum ersten Mal um das Jahr 1500 ikonografisch auf. Frühe Exemplare weisen Griffe mit einer Bauweise ähnlich zu langen Messern auf. Diese Säbelform blieb bis in das späte 19. Jahrhundert das Zeichen des polnischen Adels und erreichte Kultstatus: "Bez Boga ani do proga, bez karabeli ani z pościeli" (deutsch, sinngemäß: Ohne Gott gar nicht erst zur Haustür, ohne Karabela gar nicht erst aus dem Bett.").

15.09.23, 18:23:00

Abdank

(Moderator)

An Sinnsprüchen wie dem Letztgenannten erkennt man eine einzigartige Stellung der Blankwaffe in der polnischen Kultur bis in die heutige Zeit hinein. An weiteren Beispielen mangelt es nicht. Der Vollständigkeit halber sei hier noch ein schönes Beispiel genannt welches allgemein bekannt in sowohl Polen als auch Ungarn ist: Polak, Węgier, dwa bratanki, i do szabli, i do szklanki (Polnisch) / Lengyel, magyar – két jó barát, együtt harcol, s issza borát (Ungarisch). Auf Deutsch bedeutet dies singemäß (Der schöne Reim geht leider verloren): "Pole, Ungar, zwei Gebrüder, sowohl beim Säbel, als auch Glas."
Man erkennt, dass die Blankwaffe und ganz spezifisch der Säbel in der Gesellschaft verankert ist. Jetzt kann man den Bogen ziehen und erkennt, dass dies der Tatsache geschuldet ist, dass Angehörige des Adels vor den polnischen Teilungen von den einfachsten bis in die obersten Gesellschaftsschichten vertreten waren. Für das Studium der Blankwaffen birgt dieses Wissen den enormen Vorteil gegenüber dem Naiven, dass man nun etwas mehr in der Lage ist einzelne Exponate im Kontext ihrer Zeit zu verstehen. Die Museumskataloge durchblätternd gewinnt man oft den Eindruck, dass eine Blankwaffe in Polen-Ungarn des 17. oder 18. Jahrhundert gänzlich prunkvoll gewesen sein muss. In Wahrheit gab es so viele Abstufungen in der Beschaffenheit und Individualität der polnischen Blankwaffen wie es Adelige gab (also schätzungsweise 10-15 % der Gesamtpopulation). Es gibt nicht die eine Art von polnischem Säbel. Sehr viele Säbel wurden auf private Bestellung gefertigt und zusammengestellt. Es kann also keine Normen geben und jemand der eine Blankwaffe mit der Argument verwirft (sie als Kopie/Fälschung zu erkennen glaubt), einzelne Elemente entsprächen nicht der Norm hat die Materie schlicht und einfach nicht begriffen (siehe Bild). Dies sei hier der eigentlichen Chronologie als Analyse vorweggenommen mit dem Hinweis, dass durchaus manche Elemente nicht zu anderen passen und es Mittel und Wege gibt eine Melange oder Fälschung zu erkennen.

Das Konstrukt Polen-Litauen blieb bis zum Ende seines Bestehens eine Wahlmonarchie. Das sollte sich als Nachteil herausstellen, als der sächsiche Wettiner Friedrich August I den Favoriten François Louis de Bourbon im Jahr 1697 militärisch wegputschte und sich als "August II" zum König ausrufen ließ. Es folgten turbulente gesellschatliche Zeiten in denen sich auch militärisch vieles änderte und Polens Kronarmee von der Aufstellung welche die zweite Wiener Türkenbelagerung durchbrach zu einem Klon, der anderen europäischen Armeen entsprach, reformiert wurde. An dieser Stelle sei ein Schmankerl für Auktionatoren eingefügt: Die Flügelzischägge ist polnisch und stammt aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts und nicht früher. Sie ist eine Erfindung aus der Zeit der Wettiner in Polen, je nach Quelle mutmaßlich auf Grund des Wegfalls anderer Federdekoration (z.B. Husarenflügel, diese erst einmal ohne weitere Diskussion) als Kompensation eingeführt.

Die erste polnische Republik (Polnisch-Litauische Union) wurde drei Male zwischen Preußen, Habsburg und Russland geteilt: 1772, 1793 und 1795. Der Autor möchte sich an dieser Stelle eine sarkastische Randnotiz betreffend des polnischen Entsatzheeres bei Wien 1683 und der habsburgischen Revanche bei der Teilnahme an den Teilungen nicht verkneifen. Bis zum Ende der ersten Republik wurden Blankwaffen im nationalen Stil gefertigt. Dem Autor selber ist nur ein Regulationsmodell (eines Pallasches) bis zur letzten Teilung bekannt, weitere in den Archiven noch unentdeckte sind sehr wahrscheinlich, es sei denn die Dokumente sind kriegs- oder besatzungsbedingt verloren gegangen. Bevor man weiter auf die Typen an Blankwaffen zwischen 1500 und 1795 eingeht ist es sinnvoll die Stichwörter Teilung und Besatzung im Kontext der Blankwaffen Polens zu durchleuchten, denn dies ist für den Forscher und Sammler relevant. Polnische Blankwaffen sind sehr viel rarer als Stücke vieler anderer europäischer Nationen wie z.B. deutscher Staaten, französischer, britischer, etc. . Dies ist der Tatsache geschuldet, dass die Besatzungsmächte Gesetze zur Entwaffnung der sowohl zivilen Bevölkerung, als auch Militärangehörigen anordneten. Jeder Person der Waffenbesitz nachgewiesen werden konnte, drohten drakonische Strafen. Dies war vor allem in den preussischen und russischen Besatzungszone der Fall. Hier sei erwähnt, dass die Habsburger traditionelle Blankwaffen zur Volkstracht erlaubten. Die vorangegangenen Schilderungen spielen eine enorm große Rolle für den Bestand an polnischen Blankwaffen in unserer heutigen Zeit. Alles was wir überliefert bekommen haben stammt entweder aus 1. hohen aristokratischen Besitztümern für die Ausnahmen galten, 2. der habsburger Besatzungszone, 3. aus versteckten Depots oder 4. aus der polnischen Diaspora (Polonia). Das ist eine sehr drastische Selektion! Es gibt sie, die Stücke die aus Zufall auf altpolnischen oder altlitauischen Besitztümern über dem Kamin hingen bis ein Sowjet- oder SS-Offizier sie als "Andenken" mitnahm und die heute in Sammlerkreisen zirkulieren, aber der Großteil wurde vernichtet. Man findet durchaus Stücke mit Erdmaterial in den Nietlöchern oder Rillen die in Kellern oder Fensterrahmen versteckt wurden. Man muss sich aber klarmachen, dass für polnische Blankwaffen vor 1800 ganz andere Existenzgrundlagen in der heutigen Zeit gelten, als für Blankwaffen anderer Nationen. Man kann sich anhand dessen ungefähr ein Gefühl ausbilden wie viel mal häufiger eine preussische oder französische Blankwaffe auf den Markt kommen wird, als eine polnische (caveat emptor!).

Blankwaffen in polnischer Nutzung die folgten waren preussische, russische und habsburgische Typen und ihre polnischen Modifikationen mit Stempeln die zu Truppen passen welche auf dem ehemaligen Gebiet Polen-Litauens stationiert waren, bspw. in Danzig, Posen, Krakau oder Warschau. Später, während einiger Aufstände (bspw. Novemberaufstand 1830/31 oder Januaraufstand 1863/64) wurden allerlei Blankwaffentypen geheim importiert, dies betraf v.a. preussische und französische Modelle aus der ersten Hälfte des 19. Jhd. (bspw.: P1796 LCS, M 1811 "Blücher", M1848 Artillerie, AN IX, AN XI polnisch modifiziert, KuK 1836 Infanteriesäbel und viele weitere).

15.09.23, 20:27:29

Abdank

(Moderator)

Nun, da der Rahmen in dem man sich für das erste bewegt - die polnischen Blankwaffen des 20. Jahrhunderts außen vor gelassen - gezogen wurde, kann man auf Einzelheiten eingehen. Wie schon bereits erwähnt existierte eine florierende Adelskultur die alle Gesellschaftsschichten umfasste und welche ebenso modischen wie pragmatischen Einflüssen unterlag. So brachten einerseits Kombatanten Einflüsse anderer Kulturen von Feldzügen mit, dies waren im 17. Jahundert überwiegend östliche Einflüsse. Menschen migrierten, Diplomaten kamen von längeren Aufenthalten zurück und so gewannen Städte wie beispielsweise Lwów (heute Lwiw in der Ukraine) bedeutsamen Einfluss was begehrte Importgüter anging, unter anderem kostbare Monturen für Blankwaffen die dortige armenische Handwerker herstellten. Der Einfluss armenischer Produktion spiegelt sich bis heute in der Säbelform welche "Ormianka" genannt wird wieder.

Mächtige Magnatenfamilien übten großen Einfluss auf weite Gebiete aus und so verwundert es nicht, dass die höfische Kultur und bestimmte konjugierte Blankwaffentypen überregional begehrt wurden. Ein Beispiel dafür sind die wuchtigen Korbsäbel welche von litauischen Adelshöfen verbreitet wurden, nicht zuletzt dank der Gefolgschaft der Radziwill und das alleinige Führen einer solchen Waffe ließ keinen Zweifel in Bezug auf die politische Gesinnung und Sympathien des Trägers aufkommen (siehe Bild). Polen-Litauen reichte in seiner Blütezeit von der Ostsee bis an die Krim. Auf so einem Areal waren unzählige Ethnien vertreten die oft eigene Einflüsse auf regionale und überregionale Blankwaffentypen vorweisen konnten. So konnte man auf den Straßen Danzigs im 17. Jahrhundert auf Grund des großen Einflusses deutscher Kultur sicherlich mehr Rapiere und Degen sehen als zur selben Zeit in Kiew, welches ganz andere Einflüsse hatte. Menschen tauschten immer schon Informationen und Güter und so breiteten sich bestimmte Blankwaffentypen sekundär in vormals fremden Kreisen aus. Ein Beispiel dafür sind die bekannten Batory-Klingen aus danziger Produktion. Nicht zuletzt übte der aktuelle gewählte Monarch einen immensen Einfluss auf das kulturelle Leben, v.a. In Krakau und Warschau, aus.
Neben dem schon erwähnten Ungarn Batory und den zwei Sachsen sind Sigismund III Wasa, ein Schwede der Anfang des 17. Jahrhunderts herrschte und Jan III Sobieski, ein Pole Ende des 17. Jahrhunderts, die Monarchen mit den vermeintlich größten Einflüssen auf Kriegsweise und Mode und damit auch Blankwaffen. Der erste Wasamonarch frischte den bis dahin batorischen, ungarischen Einfluss mit westeuropäischen Aspekten (u.a. Waffen) nochmals auf, wohingegen Sobieski in einer Ära des Sarmatismus regierte. Der Sarmatismus sollte mit seiner lauten, lebensbejahenden und wilden Art den polnischen Adel für immer vom Rest europäischer Aristokratien unterscheiden. In einer Zeit in der in deutschen Nachbarstaaten der Bezug zu den Römern, in Frankreich zu den Kelten wiedergefunden und die eigene Position legitimiert wurde, suchte man sich in Polen-Litauen die Sarmaten als Protoplasten aus. Demzufolge kann es nicht mehr verwundern, dass diese Herren auch "sarmatisch" (wie man sich das damals vorstellte) gerüstet ins Feld ritten, namentlich eingepanzert in Karacenas, die seit der Antike außer Gebrauch waren. Das Nationalmuseum Krakau auf der Wawelburg führt einige dieser Rüstungen im Inventar.

Es ist an der Zeit einige Begriffe ins Rampenlicht zu rücken und diese mit etwas Hintergrundwissen zu festigen. Man sollte sich dessen bewusst sein, dass die heutige Terminologie, sowohl deutsch, als auch polnisch, lange nichts mehr mit der Terminologie in der frühen Neuzeit gemein hat. Beispielsweise wurden "Säbel", "Kord" und "Pallasch" synonym verwendet. "Karabela" stand früher eher für einen teuer dekorierten Säbel mit offenem Griff, statt dem heute obligatorischen Greifenkopfgriff, die Synonymität entwickelte sich erst ab dem 18. Jahrhundert.
Man sprach durchaus von "dem krummen Pallasch", wenn man einen Husarensäbel meinte. Ansetzend an letztgenanntes gab es auch keine Regulierungen, insofern konnte auch nicht von "dem Husarensäbel" o.ä. gesprochen werden. Heutzutage gibt es einen mehr oder minder geltenden Konsens der evtl. an anderer Stelle mit dem Hintergrund von Bildmaterial vorgestellt wird. An dieser Stelle sei nur gesagt, dass ein Säbel mit Parierbügel ebenso gut von einem Husaren geführt werden konnte, wie ein Exemplar mit gerade Parierstange, also offenem Griff.

16.09.23, 19:07:34
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