Schwert "geerbt" aus alter Scheune ==> Artillerie-Faschinenmesser M/1849
01.11.14, 14:55:40
Nara
geändert von: joehau - 11.01.19, 17:40:15
Hallo allerseits,
ich habe als Kind schon mit diesem Schwert gespielt und jetzt als
ich ausgezogen bin auch in meine eigene Wohnung mitgenommen.
Als ich meinen Vater fragte wo das Schwert überhaupt her ist,
sagte er mir, dass er es als Kind aus dem Dachbodengebälk von
seines Opas Scheune gezogen hat.
Dies dürfte dann so ums Ende der 1960er Jahre gewesen sein. Ob das
wahr ist, kann ich leider nicht sagen, er hatte mir früher gerne
"Geschichten" erzählt :)
Mich interessiert einfach nur ob jemand anhand der genauen Daten bzw. der
Buchstaben / Zahlen oder der 2 Wappen (?) nähere Informationen hat. Wäre super.
Die Daten:
Gesamtlänge: 77 cm
Klingenlänge: 63,4 cm
Klingenbreite an der Parierstange (Fehlschärfe?): 3,5 cm
Klingenstärke (ebenfalls dort): 1cm
Gewicht: 1100 Gramm
Zustand: Die Klinge ist etwas in Mitleidenschaft gezogen, oberflächliche
Verfärbungen sind zu sehen. Der Griff sieht für mich fast aus wie
neu. Das Ding ist super stabil, ich hab damit früher Ritter im Wald
gespielt und alles mögliche zerhackt. Auch scheint mir das Schwert
komplett aus einem Guss zu sein,falls sowas möglich ist, mein Verstand
sagt irgendwie das kann nicht sein, allerdings sehe ich an Parierstange
und Klinge keinen sichtbaren Übergang. Parierstange und Griff sind
zumindest aus einem "Guss". Da wackelt also wirklich nichts, super
stabil das Ding.
Buchstaben/Zahlen/Zeichen: Auf der Parierstange ist folgendes zu sehen:
Oben eine schöne Krone mit Kreuz darauf, darunter in Großbuchstaben
nebeneinander "FW". Darunter wiederum die Zahl "60" und darunter
ist ein gekrönter Buchstabe. Die gleiche Krone wie oben in kleiner
und dann schätze ich einen Buchstaben. Könnte ein"J" sein.
Darunter ganz am Ende der Parierstange steht eine neue Zahlenreihe:
"6.3.6 hinter der "6" dann wieder ein Buchstabe in alter Schreibweise
sieht aus wie ein "T" ähnlich dem mathematischen Zeichen für Pi.
Danach noch die "68." in kleinerer Schreibweise als die ersten Zahlen.
Nochmal ganz: 6.3.6T.68.
Vielen Dank schon mal für eure Hilfe.
Beste Grüße
Nara
( Bilder neu gefertigt und nachträglich angehängt, da auf externem Server nicht mehr verfügbar. )
01.11.14, 20:06:24
joehau
geändert von: joehau - 12.01.19, 02:51:22
Das ist ein preussisches
Artillerie-Faschinenmesser M/1849
'FW' steht fuer den preussischen Koenig Friedrich-Wilhelm IV, die '60' fuer
das Jahr der Abnahme 1860.
Die kleineren gekroenten Buchstaben J in Fraktursdchrift sind Abnahmestempel
fuer die Masshaltigkeit ( neudeutsch: Qualtaetskontrolle ), wohl der Anfangs-
buchstabe des Namens des Abnahmeoffiziers.
Am Truppenstempel 6.3.6
℔.68. muss sich wer anderes versuchen. Der
Schreibschrift-Buchstabe koennte ein '℔' wie 'Pfund' sein und staende
dann fuer 6-Pfuender Batterie. Oder ist es doch ein
T ? Die 68. am Ende
ist die Waffen-Nr. 68.
1888 sollten diese Artillerie-Faschinenmesser um 15 cm auf die Laenge
der ansonsten baugleichen Infanterie-Faschinenmesser gekuerzt werden,
was bei diesem Stueck offensichtlich nicht erfolgte.
01.11.14, 21:10:27
Nara
Wow, ich bin baff.
Vielen lieben Dank für deine ausführlichen Informationen.
Jetzt kann ich mich mal etwas belesen, über das gute Ding.
Liebe Grüße
Nara
01.11.14, 21:19:11
joehau
geändert von: joehau - 01.11.14, 21:53:17
Was willst Du wissen ?
Ab 1849 erhielt die preussische Artillerie als erster Truppenteil ein neues Faschinenmesser
anstelle des bisherigen 'Seitengewehrs ohne Stichblatt'. Eine aufpflanzbare Seitenwaffe
war nicht erforderlich, da die Artilleristen zu der Zeit keine Gewehre führten.
Das überlange Faschinenmesser war ohne militärischen und von geringem praktischen
Nutzen, dafür aber eine Gefahr für den Träger, insbesondere wenn er nahe den Speichen
auf der Protze saß.
Das ansonsten baugleiche Infanterie-Faschinenmesser n/M, welches ab 1852 für die
Infanterie eingeführt wurde, hatte bereits eine um 15 cm kürzere Klinge. Die Artillerie-
Faschinenmesser wurden 1888 auf das gleiche Maß gekürzt, so dass man sie nur noch
am Truppenstempel und/oder ggf. am Jahresstempel erkennen kann. Stücke mit voller
Klingenlänge, wie hier gezeigt, sind dementsprechend selten.
Ab 1890 erhielt die Artillerie das Seitengewehr u/M.
Die fehlende Lederscheide mit Messingbeschlaegen wirst Du nicht finden koennen.
Hier mal zur Ansicht, wie sie aussieht:
01.11.14, 21:47:37
joehau
geändert von: joehau - 01.11.14, 21:52:28
Im Bereich der 'Fehlschaerfe', also da, wo die Klinge nicht geschaerft ist,
sollte sich ein Stempel des Klingenherstellers befinden. Sieh doch mal nach,
ob Du an der Stelle noch irgendetwas erkennen kannst. Z.B. wie S&K oder PDL
im Zackenkreis, C.R. KIRSCHBAUM ...
01.11.14, 22:15:52
Nara
geändert von: joehau - 12.01.19, 02:54:35
Hallo joehau,
vielen Dank für die weiteren Infos. Hatte das auch gerade im Internet
gelesen und mir Bilder vom Originalzustand mit Scheide angesehen.
Hab jetzt auch nochmal an der besagten Stelle nachgeschaut und konnte ganz
leicht ein "Kirschbaum" entziffern. Würde ja passen zu dem was du gesagt hast.
Viele Grüße
Nara
Edit: Auf einer anderen Seite des Forums hier hab ich genau die Signatur
gefunden wie sie auf dem guten Stück noch leicht zu erkennen ist:
Klick !
Das große "G" rechts und "Kirschbaum" sind noch relativ gut zu sehen, das
"Solingen" darunter und das "C.R." neben Kirschbaum nicht mehr sehr gut.
02.11.14, 00:03:14
ulfberth
geändert von: joehau - 02.11.14, 08:40:04
6.Artillerie-Regiment, 3.6pfünder Batterie, Waffe Nr.68
Die Zeit um 1860 ist geprägt von diversen Umformierungen der preußischen Armee.
Statt langer Erklärungen hier einmal etwas Formationsgeschichte. :D
Gruß
ulfberth
02.11.14, 08:37:37
joehau
geändert von: joehau - 02.11.14, 08:40:57
Das große "G" rechts und "Kirschbaum" sind noch relativ gut zu sehen,
das "Solingen" darunter und das "C.R." neben Kirschbaum nicht mehr sehr gut.
Na bitte, dann weisst Du jetzt alles ueber das 'Schwert' Deiner Jugend !
Truppenstempel hat ulfberth erklaert. Das grosse 'G' steht fuer Gusstahl.
02.11.14, 16:32:03
Nara
geändert von: joehau - 11.01.19, 17:15:43
Wunderbar ich bin restlos aufgeklärt und hab wirklich ein schönes
Stück Geschichte daheim.
Da das Faschinenmesser im Geburtshaus/-scheune meiner Oma von meinem
Vater gefunden wurde, werde ich jetzt mal auf familiärer Seite
weiterforschen wem das mal gehört hat.
Vielen lieben Dank euch zweien nochmal.
Grüße
Nara
03.11.14, 13:14:47
blacky21
Irgendwie sieht das Pfund-zeichen bei mir anders aus.