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corrado26

(Super-Moderator)

Bayern, Infanteriegewehr gefertigt von Johann Jakob Behr um 1720

Nussbaumvollschaft mit Eisenbeschlägen, diese bestehend aus drei Laufringen, wobei der erste und zweite Ring rechtsseitig federarretiert sind, Abzugsbügel, Kolbenkappe mit zwei Stoßschrauben und s-förmigem Schlossgegenblech für zwei Schrauben. Am Vorderteil des Abzugsbügels ein Knopf zur Befestigung eines Pfannenleders. Stempel „ITK“ im Rechteck am hinteren Laufring. Gewölbtes, stark gebogenes Schloßblech mit gerundetem Schwanenhalshahn. Runde Eisenpfanne ohne Verbindung zur Batterie. Batteriefeder spitz auslaufend, von der Schlossblechinnenseite her verschraubt und über das Schlossschraubengewinde reichend. Herstellersignatur „J.J.BEHR“ am Schlossblech unterhalb der Batteriefeder. Auf der ganzen Länge runder, am Pulversack kantiger Lauf. Lilienförmige Meistermarke von J.J.Behr (Stöckel N°42) und eine weitere, nicht identifizierte Marke am Pulversack oben links. Großer Holzstempel “ZGH.ST“ = „Zeughaus Straubing“ an der linken Schaftseite rechts vom Schlossgegenblech. „454“ am Kolben links. Vordere Riemenöse am zweiten Laufring fehlt, hintere Riemenöse am Abzugsbügel vorne fehlt ebenfalls. Korn/Bajonettwarze auf dem Lauf, 30mm hinter der Mündung.

Gesamtlänge 1409mm, Lauflänge 1000,1mm, Kaliber des glatten Laufs 18,4mm.

Das mit dem tief ins Schaftholz eingebrannten Stempel des Zeughauses in Straubing markierte Infanteriegewehr wurde ausweislich der Schlossplattensignatur von Johann Jakob Behr, Büchsenmacher in Würzburg, Lüttich und Maastricht gefertigt. Den auf dem Lauf vorhandenen Lilienstempel verwendete Behr generell zusammen mit seiner Signatur, was klar belegt, dass Lauf und Schloss aus einer gemeinsamen Werkstatt stammen. Die recht frühe Form des noch ziemlich stark gebogenen Schlossblechs mit stilentsprechendem Schwanenhalshahn gibt einen deutlichen Hinweis darauf, dass Johann Jakob Behr das Gewehr in seiner frühen Schaffenszeit gefertigt haben muss, als er noch in Würzburg tätig war. Da Behr ab 1725 nachweislich in Lüttich gearbeitet hat, kann man davon ausgehen, dass das Gewehr vor diesem Jahr entstanden sein muss. Allerdings dürfte die Waffe zum Zeitpunkt seiner Fertigung mit großer Wahrscheinlichkeit keine Laufringe besessen haben, sie sind sicherlich eine Ergänzung/Modernisierung aus der oder um die Zeit des Siebenjährigen Krieges.

Das Steinschlossgewehr von Johann Jakob Behr ist eines der ganz wenigen heute noch erhaltenen Stücke, welches wegen der an ihm vorhandenen Straubinger Stempelung eindeutig der bayerischen Armee des ersten Viertels des 18. Jahrhunderts zugeschrieben werden kann. Dies ist um so bemerkenswerter, als im Gegensatz zu den gut dokumentierten bayerischen Militärfeuerwaffen der Zeit zwischen 1800 und 1870 sich bis heute nur wenige zweifelsfrei bayerische Gewehre, Pistolen oder Karabiner des 18. Jahrhunderts und schon gar nicht solche aus dessen erstem Viertel erhalten haben.

Unter der Bestandsposition XX. des Straubinger Zeughauses
Wie die „Sammelblätter zur Geschichte der Stadt Straubing“ aus dem Jahr 1882 berichten, existierte 1865 im Straubinger „Pulverturm“ eine recht ansehnliche Menge unterschiedlichster Altertümer, aber auch Ausrüstungsstücke der „bürgerlichen Landwehr“, die von amtlicherseits eingesetzten Zeugwarten so gut es eben ging gepflegt und in akzeptablem Zustand erhalten wurden. Doch bereits 1880 konnten Besucher überall „blühenden Rost und wuchernden Schimmel“ entdecken, ein Umstand, der den Magistrat der Stadt veranlasste, umgehend dafür Sorge zu tragen, dass der gesamte Zeughausbestand in eine neue, geeignetere weil trockenere Bleibe verbracht, gereinigt und aufgelistet wurde. In dieser Inventarliste waren insgesamt 28 Haupt-Positionen aufgeführt, darunter z.B. die Positionen VI. Rüstungen und Rüstungsteile, VII. Helme, XII. Spieße und Morgensterne, XXIV. Fahnen und Standarten, aber auch die hier interessierende Nummer XX. Feuerstein-Gewehre und Feuerstein-Pistolen, Bajonets.

In diesem Bestand XX sind insgesamt 21 Steinschlossgewehre und acht Perkussionswaffen aufgelistet und explizit beschrieben, von denen zwölf Waffen die Schaftstempelung „ZGH.ST“ aufwiesen. Die Positionen 6 und 7 trugen darüber hinaus die Schlossblechsignatur „J.J.BEHR“.
Leider ist nirgendwo aufgeführt, zu welcher Zeit dieser Straubinger Zeughausstempel an den Waffen angebracht wurde. Da jedoch bei den Perkussionswaffen unter der letzten Position 8 ein Gewehr aus Amberger Fertigung aufgeführt ist, welches „wohl schon ursprünglich für Percussion construirt gewesen sein“ muss, das aber auch den Zeughausstempel zeigt, ist davon auszugehen, dass der Stempel „ZGH.ST“ zumindest an dieser Perkussionswaffe sicherlich erst nach 1840 eingebrannt worden ist.

Unter den Positionen 6 und 7 wurden damals im Straubinger Zeughausbestand zwei Steinschlossflinten mit „ZGH.ST“-Stempelung aufgeführt, deren angegebene Dimensionen mit dem hier vorgestellten Stück annähernd identisch waren. Auch die Schlossblechsignatur des Herstellers war entsprechend. Unterschiede zeigten sich lediglich in der Laufgestaltung und im Material der Beschlagteile: Während das hier vorgestellte Gewehr einen durchgehend runden Lauf besitzt, hatten die Zeughauswaffen einen in der hinteren Hälfte kantigen Lauf. Auch waren die Beschläge nicht aus Eisen, sondern – wenn auch nur teilweise - aus Messing gefertigt, woraus man schließen kann, dass auch hier im Laufe der vielen Jahrzehnte seit Fertigstellung umfängliche Veränderungen vorgenommen worden sind.
Da ein BEHR-Gewehr mit den Charakteristika des hier vorgestellten Stückes (runder Lauf, Eisenbeschläge) im Bestandskatalog nicht aufgeführt ist, kann man davon ausgehen, dass die Waffe schon vor Erstellung der Inventarliste, also bereits vor 1880 nicht mehr im Zeughaus vorhanden war. Ob sie entwendet oder ganz offiziell an den Handel oder anderweitig verkauft wurde, lässt sich heute leider nicht mehr feststellen.

Literatur
Sammelblätter zur Geschichte der Stadt Straubing 1882, N°19, N°23 bis N°32
Dorit-Maria Krenn, Pulverturm, Zeughaus und Ehrenmal in Straubinger Tagblatt vom 26.April.1995, S.20
Heer, Der Neue Stöckel, 3 Bde. Bd.1, S.77, Schwäbisch Hall 1978
corrado26

12.03.13, 16:38:51

franz2

(User)

Hallo corrado26,

das ist ein sehr interessanter Beitrag.
Hast Du diese "Sammelblätter zur Geschichte der Stadt Straubing 1882, N°19, N°23 bis N°32"?
Ich habe auch ein Perkussionsgewehr mit dem Holzstempel
ZGH.ST und 208.
Es ist ein aptiertes Gewehr mit Amberger Hahn und Messingmontierung. Da möchte ich schon gerne wissen, ob es zu den genannten Gewehren gehört.
Wenn Du die Blätter nicht hast, kannst Du mir vielleicht sagen, wo ich Sie bekommen kann?
Ich mache noch Fotos und stelle sie hier mit ein.

Gruß Franz2

26.09.13, 09:29:10

corrado26

(Super-Moderator)

Ja, ich habe die Blätter. Unter der Abteilung XXI, Zündhütchen-Feuergewehre (Percussion) findet sich unter 1-2: Zwei nur hinsichtlich der Messinggarnitur etwas verschiedene Zündhütchen-Feuergewehre der bayer. Landwehr älterer Ordnung und zwar der hiesigen Grenadier-Compagnie, welche sie bis 1867 im Gebrauch hatte; ursprünglich mit Steinschloss versehen österreichische Gewehre. Diese Umänderung geschah nach und nach 1839-1845................ Beiden Gewehren ist am Schaft ZGH.ST. eingebrannt. Die Kopien erhielt ich, wenn ich mich richtig erinnere, über das Gäubodenmuseum, Dr. Maier, gaeubodenmuseum@straubing.de oder stefan.maier@straubing.de
corrado26

26.09.13, 11:26:55

franz2

(User)

Hallo corrado26,

vielen Dank für die Hinweise.
Da werde ich in Straubing mal nachfragen.
Hier wie versprochen noch 2 Bilder vom Gewehr.

Gruß franz2

26.09.13, 14:41:40

corrado26

(Super-Moderator)

Dann ist das ja wohl eines der beiden oben erwähnten, messingbeschlagenen Gewehre...............
corrado26

26.09.13, 15:09:42
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