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limone

(Super-Moderator)

Pistor'sche Steinschlosspistole um 1815 - Versuch einer Annäherung

Folgend möchte ich eine Steinschlosspistole vorstellen, deren Verwendung noch nicht geklärt ist, obwohl sich in der Literatur ein Vergleichstück findet.

Zunächst ein paar Maße und Fotos der Gesamtansicht:

Hersteller: Pistor Schmalkalden
Gesamtlänge: ca. 34,5 cm
Lauflänge: ca. 19,5 cm
Kaliber: ca. 17,5 mm



     Fröhlich sein, Gutes tun, und die Spatzen pfeifen lassen...
15.01.13, 19:42:57

limone

(Super-Moderator)

Nun bin ich (weiß Gott) kein ausgewiesener Feuerwaffenexperte, aber ein des Lesens und Zuhörens kundiger interessierter Mensch. Daher vorab mein herzlicher Dank an Udo Lander und Peter Meihs, die meine Fragen geduldig beantwortet haben. Sollte ich irgendwo irren, bitte ich um Milde und Berichtigung.


Auf der Waffe befindliche Stempel können über Zeit und Ort der Verwendung Auskunft geben.


Auf dem Lauf der Pistole finden sich folgende Marken:

...B&EW... : Adam Bernhard & Engelhard Wilhelm Pistor

Die beiden Brüder führten die Pistor'sche Fabrik und verstarben 1818 bzw. 1822. Das legt die Vermutung nahe, dass die vorliegende Pistole vor 1818 gefertigt worden ist.

"V" unter Krone : Dieser "Vorratsstempel" besagt, dass sich die Pistole 1891 noch in staatlichem Besitz befunden hat (z.B. staatliches Museum).


Auf dem Schaft (siehe Foto oben) "P" : Pistor'scher Fertigungsstempel.


Es folgen weitere Fotos von Stempeln, deren Bedeutung ich nicht kenne - Falls jemand mehr weiß: Ich bin für jeden Hinweis dankbar!





     Fröhlich sein, Gutes tun, und die Spatzen pfeifen lassen...
15.01.13, 20:38:42

limone

(Super-Moderator)

Der Hersteller "Pistor, Schmalkalden" weist, da die Fabrik in Kurhessen angesiedelt war und Pistor viele Ordonnanzwaffen für Hessen-Kassel und Hessen-Darmstadt gefertigt hat, regional in diese Richtung.

Ein weiteres Indiz ist der mit einem quer durch den Kolben gebohrten Bolzen befestigte U-förmige Fangriemenbügel, der sich auch bei großherzoglich hessischen Pistolen dieser Zeit findet:

"Diese Art der Riemenbügelbefestigung kennt man nur noch von Vorderladerpistolen der spanischen Kavallerie desselben Zeitraums. Eben dort in Spanien dürften hessische Soldaten dieses Konstruktionsmerkmal kennen und schätzen gelernt haben, denn von 1808 bis 1812 hatten große Teile des hessischen Gesamtkontingents am Feldzug in Spanien teilgenommen."
[Aus: Udo Lander: Pistolen des Großherzoglich Hessischen Militärs im 19. Jahrhundert, DWJ 1+2/2002]

Auch die Befestigung des Vorderrings mit einer Feder findet sich bei der, ebenfalls von Pistor gefertigten, großherzoglich hessischen Kavalleriepistole M 1814 wieder; die Form des Vorderrings unterscheidet sich jedoch deutlich (siehe letztes Foto).

Es handelt sich also wahrscheinlich um eine großherzoglich hessische Pistole.

Nimmt man weiter den napoleonischen Spanienfeldzug als möglichen Fertigungsbeginn und den Tod von Adam Bernhard Pistor als Ende des Fertigungszeitraumes an, dann müsste die vorliegende Pistole im Zeitraum von 1812 bis 1818 gefertigt worden sein.


     Fröhlich sein, Gutes tun, und die Spatzen pfeifen lassen...
15.01.13, 21:42:12

limone

(Super-Moderator)

Wie eingangs erwähnt, gibt es ein Vergleichstück, abgebildet und beschrieben in:
Udo Vollmer: Deutsche Militär-Handfeuerwaffen, Heft 4 - Hessen-Darmstadt, Frankfurt, Homburg und Nassau, Bad Saulgau 2003.

Die im Kapitel "Hessen-Darmstadt" unter lfd. Nr. 056 gezeigten Fotos zeigen zwar die von mir beschriebene Pistole (dort angegebener Hersteller: "Crause A Herzberg" ["A" meint vielleicht: "à"?]), die Textbeschreibungen werfen jedoch Fragen auf:

- Bezeichnung der Pistole auf dem Datenblatt Pos. 056: "Artilleriepistole M 1813".

- Bezeichnung der Pistole in der Liste auf S. 78: "Gendarmerie Pistole 1815/20* U-M; Steinschloss, glatt;Pistor; für Spezialeinheiten Gendarmerie; *nicht gesichert"

- Beschreibung im Kapitel "Bewaffnung der Gendarmerie" S. 66: "Die Pistole der Berittenen hat, abweichend vom Kavalleriemodell, einen Hahn mit aufrechtem Griffteil und einen integrierten Ladestock. Deshalb mußte der Vorderring verkürzt werden; der vordere Halbring entfiel, Pos. 56."


Dies alles will nicht so richtig zusammenpassen. Meines Erachtens handelt es sich bei der vorliegenden Pistole nicht um eine Abänderung der Kavalleriepistole M 1814, sondern um ein eigenständiges Modell; dafür sprechen einige grundlegende Fertigungsunterschiede; Details, die man bei einer Abänderung wahrscheinlich nicht geändert hätte:

- der Messing-Abzugsbügel ist einteilig bis kurz vor die Kolbenkappe gegezogen, ist vorne nicht nach französischem Vorbild (M an 13) mit einer Schraube befestigt, sondern mit einer innenliegenden im Schaftholz verstifteten Messinglasche und weist rückseitig des Abzuges einen kurzen, nach vorne gebogenen Fortsatz auf.

- Die Haltefeder für den Vorderring ist deutlich länger.

- Die Batterie (Das Metallteil, an dem der Feuerstein Funken schlägt) ist im oberen Bereich Richtung Laufmündung gebogen.

- Es gibt keinen Metall-Verbindungsbügel auf der Griffoberseite vom Lauf bis zur Kolbenkappe.

Zudem besitzt die Pistole nicht die von Vollmer als Grund für die Abänderung angegebene Ladestockaufnahme.


Nun meine Fragen:

Wer hat diesen von "Pistor Schmalkalden" und "Crause A Herzberg" gefertigten Pistolentyp geführt?

Kennt jemand vielleicht ein weiteres Exemplar dieses Typs?


In freudiger Erwartung erhellender Antworten

Carsten










     Fröhlich sein, Gutes tun, und die Spatzen pfeifen lassen...
15.01.13, 23:31:29

Murat

(Mitglied)

Hallo Carsten,
leider habe ich zu der von Dir vorgestellten Pistole auch keine weiteren Informationen.
In meiner Sammlung befindet sich allerdings ebenfalls eine Kavalleriepistole M an XIII des Königreiches Westfalen von Crause Herzberg, sowie eine in Charleville gefertigte M an IX die beide, offensichtlich nachträglich, mit der von Dir beschriebenen Fangriemenöse ausgestattet wurden. Außerdem sind mir noch einige weitere Stücke mit diesem Anbauteil bekannt.
Es ist also anzunehmen, dass tatsächlich eine größere Anzahl der von Napoleon im Spanienfeldzug eingesetzten Pistolen in dieser Weise abgeändert wurden.
Gruß

Murat


16.01.13, 09:48:51

corrado26

(Super-Moderator)

Der Stempel "SS" im Oval am Lauf oben links kam mir sofort bekannt vor, doch konnte ich mich nicht erinnern, wo ich diesen gesehen hatte. Eine Durchsicht meines in Jahrzehnten angelegten Stempel -. und Markenverzeichnisses erbrachte dann aber gleich vier Übereinstimmungen. Ich fand den identischen Stempel ausschließlich auf sächsischen Waffen:

- Kürassierpistole 1789
- Husarenpistole 1796
- Infanteriegewehr 1789 2x

Alle genannten Waffen sind laut Stempelung in Suhl gefertigt. Der Stempel "SS" dürfte der Firma Johann Heinrich Spangenberg in Suhl ("SS" = Spangenberg Suhl") zuzuschreiben sein, die in den Jahren 1760-1824 Hauptlieferant an das kurfürstlich sächsische Zeughaus Dresden gewesen ist.

Daraus ergibt sich, dass die Firma Pistor/Schmalkalden im vorliegenden Fall einen Lauf aus Suhler Produktion zur Fertigung der gezeigten Pistole verwendet und mit ihrem Logo versehen hat.
corrado26

17.01.13, 16:57:19

limone

(Super-Moderator)

Herzlichen Dank Euch beiden!

Liege ich mit "Großherzogtum Hessen" richtig?

Da die dortige Kavallerie 1814 mit einem neuen Pistolenmodell ausgestattet wurde, das die Artillerie um 1823 übernommen hat, bleibt ja kaum noch ein möglicher Träger für die vorliegende Waffe über; eventuell Gendarmerie.

Grüße

Carsten


     Fröhlich sein, Gutes tun, und die Spatzen pfeifen lassen...
19.01.13, 14:42:56

corrado26

(Super-Moderator)

Es sieht nach entsprechendem Vergleich so aus, als ob Pistor nicht nur den Lauf, sondern auch die Kolbenkappe und den Abzugsbügel aus Suhl bezogen hätte:
Zumindest ist zwischen dem Abzugsbügel und der Kolbenkappe an Deiner Pistole und den beiden Details der sächsischen Pistole 1812 oder der sächsischen Husarenpistole 1796 kein wesentlicher Unterschied. Auch die Art der Schäftung ohne oberen Kolbenbügel gleicht den sächsischen Waffen.

Im übrigen denke ich auch, dass Deine Pistole für die großherzogliche Gendarmerie gedacht war. In der Geschichte des "Großherzoglich Hessischen Gendarmeriekorps 1763-1905" von Beck heißt es unter der Jahreszahl 1824:"Gendarm zu Pferd: Bewaffnung mit Schmalkalder Karabiner und Pistolen".
Da Deine Pistole keine militärfiskalischen Stempel zeigt, ist eine Verwendung bei der Gendarmerie durchaus denkbar. Auch das Vorhandensein des Karabiners zusammen mit der ladestocklosen Pistole passt ins Bild: Zum Laden der Pistole wäre dann der Ladestock des Karabiners verwendet worden. Dies gilt natürlich nur, wenn der Karabiner keinen Gelenkladestock besaß. Leider ist aber bis heute ein darmstädtischer Gendarmeriekarabiner nicht aufgetaucht, sodass eine endgültige Klärung hinsichtlich der Verwendung der Pistole zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich ist
corrado26

19.01.13, 16:59:28

ulfberth

(Moderator)



Quelle: Beck (s.o.)

Gruß

ulfberth


www.seitengewehr.de
19.01.13, 20:32:55

limone

(Super-Moderator)

Es scheint, als sei alles zur Zeit Mögliche über diese Pistole gesagt; meinen herzlichen Dank an alle, die sich Mühe gemacht und zur Aufklärung beigetragen haben!

Euer

Carsten


     Fröhlich sein, Gutes tun, und die Spatzen pfeifen lassen...
20.01.13, 12:14:17
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